Energieeffizienz ist Teil der Nachhaltigkeit / 01.08.09

Herr Professor Hegger, Nachhaltigkeit ist ein Terminus, der inflationär gebraucht wird. Was meint Nachhaltigkeit eigentlich mehr als Energie-Effizienz?

Energie-Effizienz ist ein Teil der Nachhaltigkeit, sicherlich ein wichtiger. Grundsätzlich heißt Nachhaltigkeit, dass wir unsere Ansprüche erfüllen können, ohne die Ansprüche künftiger Generationen zu schmälern. Das bedeutet auch, mit endlichen Ressourcen wie Energieträgern und anderen Materialien verant- wortungsvoll umzugehen

Über Energie-Effizienz hinaus welche Dimensionen hat Nachhaltigkeit noch?

Nachhaltigkeit basiert auf drei Säulen Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft. Wenn wir früher über ökologisches Bauen geredet haben, war die Auffassung weit verbreitet, dass ökologische Aspekte sich von wirtschaftlichen Aspekten unterscheiden, wer sich also um Ökologie kümmerte, befasste sich nicht mit der Ökonomie. Das ist heute anders. Was ökologisch sinnvoll ist, wird zunehmend auch wirtschaftlich sinnvoll. Und was ökologisch zweckmäßig ist, ist es allemal auch gesellschaftlich.

Als Beispiel nachhaltigen Bauens gilt das Projekt Walter-Kolb-Straße 22, ein Haus, das auf 29 Quadratmetern Grundfläche eine Wohnfläche von 145 Quadratmetern bietet und seinen Bewohnern gleichzeitig kurze Wege lässt. Warum ist das ein Modell?

In diesem Gebäude gehen ökologische, ökonomische und gesellschaftliche Aspekte vorbildlich zusammen. Die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltigkeit hat in diesem Zusammenhang einen Kriterien-Katalog entworfen. Auf der Grundlage der drei Säulen kommen dann noch die technische Qualität, die Qualität des Standortes und die Prozess-Qualität hinzu.

Was meinen Sie mit dem Begriff Prozess-Qualität?

Es geht zum Beispiel um gute Planung, die für ein nachhaltiges Gebäude Voraussetzung ist und um eine sinnvolle Bewirtschaftung, die dem entspricht, was wir mit unserer Planung erreichen wollten. Dass also die Ziele, die der Bauherr zu Beginn der Planung definiert, nicht im Laufe des gesamten Prozesses verloren gehen.

Das Projekt Walter-Kolb-Straße ist eine Nachverdichtung, ein Neubau. Meist aber steht die Sanierung alter Siedlungen an. Wie weit ist die Region denn mit diesem Vorhaben?

Das gesamte Land steht am Anfang dieses Umbauprozesses. Und im Sinne der Nachhaltigkeit von Maßnahmen muss es nun um mehr gehen, als um unkoordinierte Einzelmaßnahmen wie das Aufbringen von ein paar Zentimeter Dämmung auf die Fassaden und vielleicht den Austausch von Fenstern. Ganzheitliche Lösungen sind gefragt.

Mit zweifelhaftem Erfolg?

Vielfach blieben solche Einzelmaßnahmen am Ende weniger wirksam als sie anfangs erschienen. Um auf das Beispiel mit Dämmung und neuen Fenstern zurück zu kommen: Wenn im Winter aber alles weiter auf Kipplüftung gestellt wird und keine mechanische Lüftung mit Wärmerückgewinnung existiert, bringt das schlicht geringere Vorteile als vorhergesehen. Man sollte deshalb ein sinnvolles Ganzes schaffen, auf Gebäudetypen bezogene in sich schlüssige Paketlösungen bilden. In diesen “Paketen” sind die Einzelmaßnahmen sinnvoll aufeinander abgestimmt, um wirklich energie-effizient wirken zu können und den Vorteil in Bezug auf Wohnkomfort und Kostenersparnis zu erreichen, den sich Mieter und Eigentümer erhoffen.

Reichen die Energieveroheggerrdnungen dazu denn aus?

Die Energie-Einspar-Verordnung wird zunehmend verschärft. Sinnvolle und darauf abgestimmte standardisierte Lösungen können helfen, die Ziele für die Umwelt, die Mieter wie auch die Eigentümer zu erreichen.

Wer aber ist denn an dieser Stelle gefordert die Wissenschaft, der Gesetzgeber, die Wohnungsbaugesellschaften?

Gefordert sind alle. Die Wohnungsbaugesellschaften sind derzeit in ihren wirtschaftlichen Möglichkeiten eingeschränkt. Sie können verringerte Betriebskosten nur eingeschränkt auf die Grundmiete übertragen. Das ist ein Hindernis. Wir brauchen auch sinnvollere Fördermöglichkeiten für die Wohnungswirtschaft, aber auch für die einzelnen Eigentümer. Gleichzeitig muss die Wissenschaft Pakete für den effizienten Umbau unterschiedlicher Gebäudetypen schaffen. Dem Handwerk muss es gelingen, aus einer Hand Sanierungen anzubieten, um damit den Bauherren zu entlasten und die Eintrittsschwelle in Sanierungen zu senken.

Gemessen am Status quo wie viel dürfte 2020 im Rhein-Main-Gebiet umgebaut sein, zehn Prozent oder die Hälfte?

Zehn Prozent in zehn Jahren wäre etwa das, was wir derzeit tun. 50 Prozent würden wir nicht schaffen. Wir würden im Vorlauf zu diesen Sanierungen aber auch feststellen, dass es Bestände gibt, deren Erhalt nicht sinnvoll ist: aus demografischen, aus funktionalen oder technischen Gründen. Auch deshalb ist es notwendig, neben der Energiefrage auch umfassender zu denken und zu planen: die Fragen der Nachhaltigkeit insgesamt zu betrachten. Vor großen Investitionen müssen Fragen stehen, ob die Siedlung gut angebunden ist, es eine ordentliche Grundversorgung gibt, wie es mit der Umweltbelastung aussieht. Dann stellt sich die Frage nach der Qualität des Objekts im Hinblick auf Erreichbarkeit und Grünversorgung, kann man sich dort wohlfühlen allesamt Fragen der Nachhaltigkeit.

Eine umfassende Perspektive.

Wir betrachten nicht nur den Bau, sondern auch die spätere Möglichkeiten seiner Instandhaltung bis hin zum Rückbau.

Und was steht am Anfang?

Die Frage, dass und wie ich eigentlich plane. Man kann nicht allein einen Dachdecker damit beauftragen, dass Dach zu dämmen. Das kann am Ende eine falsche Entscheidung sein. Man braucht eine qualifizierte Planung, um auszuschließen, dass man Häuser saniert, die nach wenigen Jahren bereits aus der Nutzung fallen, wie dies im Zuge der Bevölkerungsentwicklung bereits heute an vielen Stellen passiert.

Quelle ( FR-online )

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