Pflanzenfett statt Kuhmilch, gepresstes Eiweiß statt Fisch, Geschmacksverstärker statt Meerrettich: Immer mehr Lebensmittelhersteller sparen an den Zutaten – ohne dass der Verbraucher es merkt. Eine Liste der Verbraucherzentrale Hamburg nennt die Plagiatoren.
Es gibt Worte, die nicht für den Verbraucher bestimmt sind. Sie lauten Krebsfleisch-Imitat, Fischmuskeleiweiß, Erbsenstärke, synthetisches Vanillin, Algenkonzentrat und Formfleisch. Und dennoch sind diese Zutaten Bestandteil vieler Lebensmittel, die Konsumenten tagtäglich in deutschen Supermärkten in ihren Einkaufswagen legen – und später ahnungslos verzehren im Glauben, es handele sich um hochwertige, gesunde und vor allem vollwertige Produkte.
Doch genau das ist nicht der Fall, wie eine Untersuchung der Verbraucherschutzzentrale Hamburg zeigt. Die Lebensmittelexperten haben gezielt verschiedene Nahrungsmittel analysiert und kommen zu einem verheerenden Ergebnis: Immer mehr Anbieter sparen bei ihren Produkten an den Originalzutaten und verwenden stattdessen billigere Ersatzstoffe.
“Der Käufer muss inzwischen nicht mehr nur mit Analogkäse und Formschinken rechnen, sondern auch mit gestrecktem Pesto oder Schokoladenkeksen ohne Schokolade”, sagt Silke Schwartau von der Verbraucherzentrale. “Und das nicht nur bei den Billigmarken, sondern auch bei teuren Markenartikeln.”
Tatsächlich ist die Liste der Verbraucherschützer lang: So enthalten etwa die Wasabi Erdnüsse der Firma Lorenz Bahlsen statt dem echten japanischen Meerrettich (Wasabi) “minderwertige Zutaten wie Spirulinakonzentrat, Aroma, Geschmacksverstärker und Farbstoff”. Die Mini-Kekse Bolde von Delacre haben statt Schokoladenfüllung eine “Kakaocremefüllung mit billigem Schokoladen-Imitat”. Anstelle einer echten Garnele erhält der Kunde im Handel unter Umständen gepresstes Fischeiweiß in Garnelenform.
Selbst die Bio-Vollkorntoast-Brötchen der Firma Proback bestehen laut Verbraucherzentrale nur zu 60 Prozent aus Vollkornmehl, obwohl die Leitsätze für Brot und Kleingebäck 90 Prozent vorschreiben. Gestreckt wird hier mit Weizenmehl, damit das keinem auffällt, wird mit Gerstenmalzsirup gefärbt.
Die Aufzählung ließe sich beliebig fortsetzen – und sie zeigt vor allem eines: Wer sich beim Einkaufen auf schöne Namen wie “Hähnchenschnitten” und “Premium-Eis – mit Sahne verfeinert” oder gar die Bilder von saftigen Steaks und Käseschnitten verlässt, tappt oft in die “Plagiate-Falle”, wie Verbraucherschützerin Schwartau es nennt.
Die Kunden würden getäuscht, denn auf den ersten Blick sei nicht zu erkennen, dass etwa in den Wasabi-Erdnüssen kein Wasabi enthalten sei, warnen die Experten. “Die Anbieter sparen, indem sie minderwertige Zutaten verwenden, dem Käufer aber suggerieren, er kaufe ein Produkt mit wertvollen und qualitativen Inhaltsstoffen.”
Wichtig ist für den Verbraucher der scharfe Blick auf die Verpackung der Produkte. Denn das Schuldbewusstsein der Lebensmittelindustrie hält sich in Grenzen, wenn sie den gesetzlichen Ansprüchen genügt. Mit den Vorwürfen der Verbraucherschützer konfrontiert, heißt es etwa von der Firma Lorenz Bahlsen, die beanstandeten Inhaltsstoffe seien “eindeutig auf der Packung angeführt” und damit erkennbar. “Wie es das deutsche Lebensmittelgesetz vorschreibt, seht auf der Vorderseite gut erkennbar Wasabi-Geschmack. Darüber hinaus steht auf der Rückseite klar und deutlich ‘… die nach asiatischem Meerrettich schmeckt’.” Man versuche “eindeutig nicht zu vermitteln, dass in dem Produkt echtes Wasabi enthalten ist”.
Auf Nachfrage werden die von den Verbraucherschützern kritisierten Inhaltsstoffe von kaum einem Unternehmen bestritten. “Die Zusammensetzung unseres Produkts ist ausführlich und deutlich auf dem Etikett aufgedruckt, so dass die Verbraucher sich direkt am Regal darüber informieren können”, lautet der Tenor auch bei Buitoni, Delacre und dem Hersteller von Fol-Epi-Käse, Bongrain. Andere genannte Anbieter reagierten nicht auf die Anfrage von SPIEGEL ONLINE.
“Ein Schnittchen ist kein Schnitzel”
Den Vorwurf der Verbrauchertäuschung lässt auch Josef Knappheide vom Hersteller Vossko nicht gelten. Der Anbieter der “Hähnchenschnitten Wiener Art”, einem Verschnitt aus kleinen Stücken von Hähnchen- und Putenfleisch, hält schon den Namen seines Produkts für selbsterklärend: “Ein Schnittchen ist kein Schnitzel, insofern weiß der Kunde, was er kauft.” Im Übrigen sei es die freie Entscheidung des Verbrauchers, zum ebenfalls angebotenen “Schnitzel” zu greifen – das aber sei teurer. “Der deutsche Kunde ist sehr preisbewusst, deshalb bieten wir ihm diese Form von Lebensmitteln an.”
Genau davor aber haben die Verbraucherschützer Angst: Denn je mehr Firmen die “falschen” Lebensmittel anbieten, desto schwieriger wird es für die Produzenten, die nicht mit den billigeren Ersatzstoffen arbeiten. “Die sind dann irgendwann nicht mehr konkurrenzfähig”, sagt Verbraucherschützerin Schwartau. Sie fordert deshalb eine schärfere Gesetzgebung von Seiten der Regierung.
Als Analogkäse – auch Kunstkäse, Käse- Ersatz oder Käse- Imitat genannt, werden Käse- Imitate bezeichnet, die nicht oder nur zu einem Anteil aus Milch oder Milchprodukten bestehen. Das Milchfett wird dabei durch andere tierische oder pflanzliche Fette ersetzt, teilweise gilt das auch für Milcheiweiß.
Formschinken – auch Schinken- Ersatzprodukt oder Schinken- Imitat genannt – besteht aus zerkleinertem Fleisch, Fleischresten, darunter zum Teil auch Separatorenfleisch. Diese werden mit Bindegewebe, Dickungsmitteln, Bindemitteln, weiteren Zusatzstoffen und Wasser zu einem Teig verarbeitet und schließlich zu einer schnittfesten, wurstartigen Masse gegart.
Doch die dürfte frühestens nach den Bundestagswahlen im Herbst kommen – auch wenn Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) gerne gegen die Mogelpackungen bei den Lebensmitteln wettert. So hat sie erst am Mittwoch in Berlin angekündigt, härter gegen die Lebensmittelschummelei vorgehen zu wollen. “Da, wo Schinken oder Käse draufsteht, muss auch Schinken oder Käse drin sein”, sagte sie – und warnte die Wirtschaft vor negativen Folgen. “Wenn sich das mal einschleicht, hat man auch einen Ruf zu verlieren. Der alleinige Preiskampf vermindert deutlich die Qualität der Lebensmittel.” Wenn Imitate angeboten würden, vor allem bei loser Ware, müsse dies klar und deutlich gekennzeichnet sein.
Doch was beherzt klingt, stößt bei Verbraucherschützern auf wenig Verständnis – denn tatsächlich hat die Ministerin bisher wenig getan, um eine effektivere Kontrolle zu erreichen. “Wir brauchen eine echte Revision des Verbraucherrechts: Die Behörden müssen verpflichtet werden, alle Ergebnisse von Lebensmittelkontrollen zu veröffentlichen und dabei Ross und Reiter zu nennen”, sagt etwa Thilo Bode von der Verbraucherorganisation Foodwatch. Wenn Verbraucher mit Schinken-Imitat und falschem Käse betrogen werden, hätten sie ein Recht darauf zu erfahren, wer die Betrüger sind.”
Doch das geschieht bislang nicht – stattdessen sammeln die Behörden eifrig die Beispiele für Schinken-Imitate. So erhebt etwa das Bayerische Landesamt für Gesundheit seit 15 Jahren akribisch den durchschnittlichen Fleischgehalt, der nach ihren Zahlen seit 1993 von rund 82 Prozent auf teilweise unter 50 Prozent in den vergangenen Jahren gesunken ist. Spitzenreiter war ein Schinken aus dem Jahr 2007, der nur noch einen Fleischanteil von 38 Prozent aufwies. Akribisch notiert die Behörde auch: “Die Erzeugnisse weisen im Vergleich zu Schinken und Vorderschinken eine gummiartige, elastische Konsistenz auf. Sie unterscheiden sich aber nicht nur hinsichtlich ihres Aussehens, sondern auch hinsichtlich ihres Geruchs und Geschmacks deutlich von den Produkten, die sie ersetzen sollen.”
Folgen aber hat all das bislang nicht – was Verbraucherschützer erzürnt: “Auf dem Lebensmittelmarkt sind rechtstaatliche Prinzipien außer Kraft gesetzt”, schimpft Foodwatch-Chef Bode. “Es ist, als würde die Polizei bekannt geben, dass massenweise Falschgeld im Umlauf ist – es aber nicht aus dem Verkehr zieht, sondern den Bürgern erklärt, wie sie die Blüten erkennen können. So verhalten sich die Behörden bei Schinken-Imitat.”
Es ist deshalb wohl ein frommer Wunsch, wenn Silke Schwartau sagt: “Frau Aigner sollte sich lieber den Verbraucherschutz auf ihre Fahnen schreiben und nicht nur Lobbyistin der Lebensmittelindustrie sein.”
Quelle ( Spiegel online )